Der Blick des Anderen: Le Havre

Es sind die Blicke: dieses ruhige, stoische, intensive Starren. Die Figuren des finnischen Regisseurs Aki Kaurismäki schauen sich ihr Gegenüber, die Situation, ja die Welt zunächst einmal in allergrößter Ruhe und ohne eine Miene zu verziehen an. Egal, ob sie Clochards, Polizisten oder aber illegale Einwanderer sind, welche die herbeigeeilten Sanitäter und uns Zuschauer aus einem Container heraus anblicken.
Auch im neuen Film "Le Havre" wird viel in die Welt und vor sich hin gestarrt. Der mittellose Ex-Bohèmien mit dem bezeichnenden Namen Marcel Marx, der sich als Schuhputzer in der französischen, titelgebenden Hafenstadt verdingt, reiht sich hier in die übliche Figurenriege Kaurismäkis ein. Ob seine Frau an Krebs erkrankt oder ob er einen jungen schwarzen Einwanderer findet, der seine Hilfe braucht - die Widrigkeiten des Lebens werden mit beinahe obszönem Stoizismus beantwortet. Doch es ist gerade dieser ruhige Blick von Mensch zu Mensch, der die Figuren zum Handeln zu bringen scheint: Der Blick der ausgezehrten illegal eingeschmuggelten Menschen im Container, zu denen der Junge Idrissa gehört, der Marcel Marx von seinem Versteck aus unter einem Brückenpfeiler, knietief im Wasser stehend, einfach nur anblickt. Man könnte im Sinne des Philosophen Levinas sagen: Es ist der Andere, der dich anblickt und dir damit die Verpflichtung auferlegt, ihm gerecht zu werden. Diese Gerechtigkeit vollzieht sich in Le Havre ebenfalls mit der allergrößten Ruhe. Die Figuren helfen einfach, sie zeigen selbstlose Solidarität, so als wäre das der überhaupt einzige Weg. Ein Märchen der Humanität im schick gestylten und doch absolut realistisch wirkenden 60er-Jahre Interieur. Schön, anrührend, lustig und sehenswert.

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